Object of the month

Der Elefantenschädel im neu errichteten Goethe-Laboratorium

Der Schädel des Afrikanischen Elefanten in frontaler und ventraler Ansicht neben den Zeichnungen des Objekts, die Johann Christian Wilhelm Waltz (1766-1796) auf Veranlassung von Goethe hergestellt hat (Zusammenstellung: Bernhard-Leopold Bock)

»Jeder Gegenstand, wohl beschaut, schließt ein neues Organ in uns auf.« Mit diesem Wort hat Johann Wolfgang von Goethe 1823 sein eigenes »gegenständliches Denken« beschrieben. In der neuen Dauerausstellung der Universität Jena, die sein naturwissenschaftliches Engagement zeigt, spielt ein Gegenstand, ein Goethe-Original ersten Ranges, eine wichtige Rolle: der Schädel eines Afrikanischen Elefanten aus dem 17. Jahrhundert.

Wie kam dieser Schädel in die naturwissenschaftlichen Sammlungen der Universität? Herzog Wilhelm Ernst (1662-1728), der im Jahr 1700 die Weimarische Kunstkammer anlegte, gelang es, Exponate einer bedeutenden, naturwissenschaftlich orientierten Sammlung zu erwerben, die Christian Lorenz von Adlershelm (1608-1684) in Leipzig aufgebaut hatte und die nach dessen Tod verkauft wurde. Unter den Exponaten dieses Naturalienkabinetts befand sich auch ein, wie Goethe hervorhebt, »völlig ausgewachsener, wohl erhaltener Elefanten-Schädel«.

Schon in Leipzig hatte dieser Schädel für Furore und Bewunderung gesorgt. Mit dem Aufbau der naturwissenschaftlichen Sammlungen kam er Anfang der 80er Jahre des 18. Jahrhunderts an die Universität Jena. Im alten Stadtschloss wurde er im Raum der »Säugthiere« aufgestellt, und zwar in der Mitte des Zimmers »auf einem Postament«. In einem Brief an Johann Heinrich Merck, der in Darmstadt Forschungen zu fossilen Elefantenknochen anstellte, hebt Goethe am 17. Februar 1783 hervor: »Wie gerne wollte ich dir auch den Gebrauch unseres Elephantenkopfes den wir in Jena haben wünschen. Ich habe ihn gestern noch mit Erstaunen betrachtet.«

Goethe befindet sich mitten in seinen vergleichenden Schädel-Studien, die ihn im Folgemonat zu der Einsicht führen, dass der Zwischenkieferknochen kein anatomisches Unterscheidungsmerkmal zwischen Menschen und Tieren darstellt. Johann Gottfried Herder kann er am 27. März 1784 beglückt mitteilen: »Ich habe gefunden – weder Gold noch Silber, aber was mir eine unsägliche Freude macht – das os intermaxillare am Menschen!«

In der neuen Ausstellung, die Anfang Juli 2024 unter dem Titel »Bewegliche Ordnung« eröffnet wird, können die Besucher*innen nicht nur den Entdeckungsprozess und seine wissenschaftliche Ausarbeitung verfolgen. Sie können die Schädelknochen des Afrikanischen Elefanten so betrachten, wie Goethe das getan hat, und, filmisch angeleitet, sogar die Herausbildung der anatomischen Strukturen, ihre Morphogenese, studieren. Die Suturen (Knochengrenzen) des os intermaxillare sind bei dem alten Afrikanischen Elefanten verwachsen, was Goethe im Vergleich mit dem Schädel eines jungen Indischen Elefanten aus Kassel klar wird, bei dem sie deutlich hervortreten. Auch anatomische Strukturen sind »beweglich«; sie haben, wie Goethe erkennt, eine ganz eigene Zeitlichkeit und Veränderlichkeit.

 

Dr. Helmut Hühn

 

Literatur:

 

Johann Wolfgang von Goethe: Bedeutende Fördernis durch ein einziges geistreiches Wort. In: Ders.: Sämtliche Werke I, Bd. 24: Schriften zur Morphologie, hrsg. von Dorothea Kuhn. Frankfurt am Main: Klassiker Verlag 1987, S. 595-599 

 

Bernhard-Leopold Bock, Martin Fischer, Helmut Hühn: »Der größte Elephantenschädel, den das Museum zu Jena besitzt«. Erscheint im Frühjahr 2025 in: Helmut Hühn, Margrit Wyder (Hrsg.): »Bewegliche Ordnung«. Goethes Morphologie und Metamorphosenlehre. Göttingen: Wallstein 2025 (in Vorbereitung).