Object of the month

Dem Hirnstrom auf der Spur

Höchstempfindliche elektrische Messtechnik ist nicht erst mit unserer modernen Elektronik-, Computer- und Kommunikationstechnik entstanden, denn schon im 18. Jahrhundert wurden viele Versuche zur natürlichen Elektrizität durchgeführt. Luigi Galvani (1737-1798) entdeckte 1780 in Bologna durch Zufall Muskelkontraktionen bei Fröschen durch elektrischen Strom. Nach ihm wurden die Geräte zur Messung elektrischer Ströme „Galvanometer“ genannt.

Das Grundprinzip der Galvanometer beruht auf dem von Hans Christian Oersted (1777-1851) im Jahre 1820 entdeckten Effekt, dass eine Kompassnadel ausgelenkt wird, wenn in der Nähe ein elektrischer Strom durch einen Draht fließt. Ein fließender Strom in einem elektrischen Leiter erzeugt ein begleitendes Magnetfeld und dieses kann mit einem anderen Magnetfeld, wie dem der Kompassnadel, wechselwirken und so eine mechanische Bewegung hervorrufen.  Weitere Verbesserungen erreichte man indem die Kompassnadel als magnetisches Objekt durch eine stromdurchflossene kleine Spule (oder auch Drahtschleife) aufgehängt in einem hufeisenförmigen  Dauermagneten ersetzt wurde. Der Messstrom fließt direkt durch diese Drehspule und ihre Bewegung durch die Wechselwirkung mit dem Dauermagneten wird gemessen. Mit solchen Drehspul-Galvanometern konnte man schon in den 1880er Jahren Ströme im Bereich weniger Mikroampere  (also Millionstel der Einheit Ampere, die die Stromstärke angibt) messen. Um die Empfindlichkeit weiter zu verbessern, wurden  Reflex- oder Spiegel-Galvanometer entwickelt, bei denen diese kleine Auslenkung mit Hilfe eines an der Drehspule befestigten Spiegels und einer Lichtmarke auf eine entfernt stehende Skala projiziert und damit deutlich vergrößert wird.

Das hier gezeigte „Reflex-Drehspul-Galvanometer“ der Max Kohl AG Chemnitz /1/ wurde in den 1920er Jahren besonders für Vorlesungszwecke entworfen und hat einen sehr übersichtlichen einfachen Aufbau. Man erkennt den Hufeisenmagneten und die darin hängende Drehspule mit dem aufgebrachten Spiegel. Leider fehlen einige Komponenten, denn an einem drehbaren Arm saßen Linse und Glühlampe zur Projektion einer Lichtmarke auf die Laborwand oder auf eine separate Skala. Bei einem Abstand von 1 Meter entspricht eine Auslenkung um 1 Millimeter etwa 10-8 Ampere also ein Hundertstel Mikroampere!

Ein ähnliches Gerät, ein kompakteres Schleifen-Galvanometer /2/, wurde vom Jenaer Psychiater Hans Berger (1873-1941) bei seinen Untersuchungen verwendet und er konnte damit am 6. Juli 1924 erstmals ein Elektroenzephalogramm (EEG) eines Menschen aufzeichnen /3/. Die sehr kleinen Bioströme, die im Gehirn fließen, konnten damit gemessen werden, wobei er durch Öffnungen im Schädel die Kontaktelektroden einführte. Zeitlicher Verlauf der Ströme und die Reaktion des Gehirns auf äußere Reize gaben wichtige neue Informationen. Erst 5 Jahre später publizierte er seine Entdeckung (die er noch Elektrenkephalogramm nannte), die in der internationalen medizinischen Forschung große Beachtung fand.

Heute ist das EEG eine Standardmethode zur Hirnuntersuchung und physiologischen Forschung/4/. Mittlerweile gibt es dafür kompakte Messsysteme mit aufwändiger Datenbearbeitung, die noch wesentlich kleinere Bioströme  bzw. zugehörige Spannungen (Potenzialdifferenzen) messen können, wobei man aber immer noch die Elektroden am Kopf des Patienten (meist nur auf der Kopfhaut) anbringen muss. Daher wird in den letzten Jahren anstelle des EEG zunehmend das Magnetoenzephalogramm (MEG) verwendet, bei dem man berührungslos die extrem kleinen Magnetfelder der Hirnströme direkt und lokal messen kann. Solche Geräte wurden seit den 1980er Jahren auch in Jena mit entwickelt und sind heute im Biomagnetischen Zentrum der Universitätsklinik im Einsatz /5/.

Das gezeigte Reflex- Drehspul-Galvanometer aus der Sammlung wissenschaftlicher und technischer Geräte zur Physik geht als Exponat in die Ausstellung Human Brains“, die von April bis November 2022 in Venedig zu sehen sein wird. Veranstalter ist die Fondazione Prada.

Literatur:

/1/ Katalog Max Kohl AG Chemnitz, https://vlp.mpiwg-berlin.mpg.de/library/data/lit21186 , S.897.

/2/ Sammlung physikalischer Geräte der Physikalisch-Astronomischen Fakultät der Friedrich-Schiller-Universität Jena,  https://www.physik.uni-jena.de/physikgeraetesammlung.

/3/ Markus Ehberger, Christian Forstner, Kommunikationsraum Stadt – Historische Stätten der Physik in Jena, GNT-Verlag, Berlin Diepholz, 2021, S113 ff.

/4/ Otto W. Witte, Georg Hagemann, Jens Haueisen Physiologische Grundlagen des EEG in Alois Ebner, Günther Deuschl, EEG, Georg Thieme Verlag, 2010, S. 1ff.

/5/ https://www.uniklinikum-jena.de/neuro/%C3%84rzte+_+Zuweisende/Neurologische+Zentren/Biomagnetisches+Zentrum.print.

Aus der Sammlung wissenschaftlicher und technischer Geräte zur Physik:
Spiegelgalvanometer
Inv. Nr. 011

Prof. Dr. Paul Seidel