Object of the month

Mit den Waffen einer Frau

Aus der Sammlung Antike Kleinkunst: Torso einer Amazone und Attisch-schwarzfigurige Augenschale (Kylix)

Gleich zwei Objekte der Sammlung Antike Kleinkunst haben ihren großen Auftritt derzeit im Lindenau-Museum Altenburg. Die Sonderausstellung „Mit den Waffen einer Frau. Furchtlose Frauengestalten der Antike“,  die noch bis zum 1. Januar 2020 im Lindenau-Museum zu sehen ist und sich auf die Spuren der Amazonen und anderer tatkräftiger Frauen der griechischen Mythologie begibt, präsentiert einen marmornen Amazonentorso und eine Attisch-schwarzfigurige Augenschale  zusammen mit weiteren Originalplastiken, Gipsabgüssen, antiker Keramik sowie Grafiken des späten 18. und 19. Jahrhunderts.

Objekt 1: Torso einer Amazone

Der Torso stellt die verkleinerte römische Kopie eines griechischen Originals des 5. Jh. v. Chr. dar. Erhalten hat sich der Rumpf bis zum Hüftansatz; der Kopf, die Arme und die Beine fehlen. Die Amazone trägt einen kurzen gegürteten Chiton, der ihr von der Schulter gerutscht ist und die rechte Brust entblößt – ein charakteristisches Merkmal der Amazonenikonografie.

Das kriegerische Frauenvolk der Amazonen führt seine Kriege und Staatsgeschäfte dem Mythos zufolge völlig selbstständig – das heißt ohne Männer. Als Frauen, die sich mit Männern im Kampf messen, stellen sie das gängige Geschlechterverhältnis auf den Kopf. Das „Andere“, das „Fremde“ verkörpern sie allerdings auch, indem sie von den antiken Autoren in einer fremden Region – meist dem pontischen oder anatolischen Raum – verortet werden. Die Darstellungen äußern ihre fremdländische Herkunft häufig mithilfe von skythischen und persischen Tracht- und Rüstungselementen, z. B. lange Arm- und Beinkleider, phrygische Mütze, Goryt (Bogenköcher) und Pelta (halbmondförmiger Schild). Als kämpfende „Orientalinnen“ repräsentieren sie für die Griechen ein Feindbild par excellence, das es zu bekämpfen gilt, um die gesellschaftliche Ordnung zu bewahren. In den schriftlichen wie bildlichen Amazonomachiedarstellungen tragen in der Regel, mit Ausnahme einiger Gefechte, die Griechen den Sieg davon. Auf diese Weise wird die Frau wieder ihrer „natürlichen“ Rolle (d. h. den Männern untergeordnet) zugeführt.

Die Ausstellung „Mit den Waffen einer Frau. Furchtlose Frauengestalten der Antike“ betrachtet Frauen, die sich über das normative Rollenbild ihrer Zeit hinwegsetzen, indem sie selbstbestimmt, aktiv, offensiv oder auch „männergleich“ (wie die Amazonen von Homer beschrieben werden) agieren. Zu ihnen zählen abgesehen von den Amazonen, die aufgrund der Beliebtheit ihrer Darstellungen während der Antike den größten Teil der Ausstellung einnehmen, auch die Mänaden, die in ekstatischem Rausch wilde Tiere durch die Luft wirbeln oder zerreißen und auf die sexuellen Avancen der lüsternen Satyrn mal eingehen, mal mit vehementer Ablehnung reagieren. Neben diesen beiden Frauengruppen werden auch einzelne mythische Figuren betrachtet: Atalante ist eine Heldin im klassischen Sinne. Sie vollbringt Heldentaten durch Kraft und Geschick. Als einzige Frau nimmt sie an der Fahrt der Argonauten und der Jagd auf den Kalydonischen Eber teil. Neben ihrem Talent bei der Jagd besiegt sie ihre männlichen Gegner im Ringen und Wettlauf. Zudem weigert sie sich, zu heiraten, weil sie ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben will.

Die lydische Königin Omphale kauft Herakles, der als Sühne für den Mord an Iphitos in den Sklavendienst geschickt wird. Er räumt all ihre Gegner aus dem Weg bis der vom Liebeswahn Geschlagene ihr schließlich seine Waffen (Keule und Löwenfell) überlässt und sich im Haus dem Müßiggang widmet, während sie auf Abenteuersuche geht.

Im Reigen der „starken Frauen“ sind selbstverständlich auch die Zauberinnen Kirke und Medea vertreten. Kirke, die auf einer Insel lebt, wo sie gelegentliche Besucher in Tiere verwandelt, wurde insbesondere in archaischer Zeit als mächtige, selbstbewusste und gefährliche Magierin aufgefasst.
Ihre Nichte Medea sollte man ebenfalls nicht unterschätzen: Nachdem sie Jasons Abenteuer mit ihren übernatürlichen Kräften gelingen ließ, seine Feinde getötet und die Verbindungen zu ihrer Familie für die Liebe gekappt hat, verlässt er sie für eine andere Königstochter. Aus Rache bringt sie die beiden gemeinsamen Kinder um. Als zauberkundige „Barbarin“ verkörpert auch sie das „Fremde“. An ihr führen die Dichter vor Augen, was mangelnde Beherrschung der Gefühle für fatale Folgen nach sich ziehen kann.
Eine andere, weniger bekannte Kindsmörderin ist Prokne. Sie tötet ihren Sohn, um sich an ihrem thrakischen Gatten Tereus zu rächen, der ihre Schwester vergewaltigt, ihr die Zunge herausgeschnitten und sie versteckt hat.
Die beiden letzten im Bunde sind die Seherin Kassandra und ihre Mörderin Klytaimnestra. Kassandra verweigert sich dem Gott Apollon, der sie damit bestraft, dass niemand ihren Prophezeiungen Glauben schenken wird. Sie lässt sich nicht von der Öffentlichkeit ausschließen und warnt vor dem Trojanischen Krieg und dem Hölzernen Pferd, doch niemand erhört sie. Klytaimnnestra will sich nach der zehnjährigen Abwesenheit ihres Mannes Agamemnon, der die gemeinsame Tochter Iphigeneia für die Überfahrt nach Troja der Göttin Artemis geopfert hat, nicht mehr mit der Rolle der unbedeutenden Frau, die im Hause am Webstuhl sitzt, begnügen und tötet ihn zusammen mit ihrem Geliebten Aigisthos.

Das Konzept der „bösen Frau“, die Gefahr signalisiert oder Zerstörung bewirkt, ist uralt und in vielen Kulturen anzutreffen. In der griechischen Mythologie findet es zahlreiche Ausprägungen, die die Ängste der Menschen widerspiegeln – von der männermordenden Kriegerin bis hin zur verführerischen Zauberin. All diese Frauen eint, dass sie sich gegen ihr Los als unmündige Person, das ihnen ihr Geschlecht für gewöhnlich vorgibt, auflehnen. Da sie die bestehende Geschlechterordnung damit gefährden, geht es für die Heroinen selten gut aus. Meist werden sie in irgendeiner Form (z. B. durch Heirat oder Tod) „bezähmt“. Doch gerade diese unkonventionellen Charaktere sind es, die bis heute für eine ungebrochene Faszination sorgen.

Torso einer Amazone
Marmor
H. 17,8 cm, B. 12 cm
Fundort: ?
Sammlung Antiker Kleinkunst, Inv.-Nr. M 21

Objekt 2: Augenschale

Auch die attisch-schwarzfigurige Augenschale, die den Kampf zwischen einem Griechen und einer Amazone zeigt, ist derzeit in der Ausstellung „Mit den Waffen einer Frau. Furchtlose Frauengestalten der Antike“ im Lindenau-Museum Altenburg zu sehen. Die Augenschale, die zum Gefäßtyp der Kylix zählt und eine Form der Trinkschale darstellt, ist nach dem Augenpaar benannt, das ihre Außenseite ziert. Hob der Zecher die Schale an den Mund um zu trinken, glich sie einer Maske: die Henkel fungierten als Ohren, der Schalenfuß als Mund. Die aufgemalten Augen ersetzten dabei die von der Schale verdeckten Augen des Zechers. Ihnen wird eine apotropäische Funktion zugeschrieben. Das Innenbild der in Vulci gefundenen Schale, die um 530/520 v. Chr. datiert und dem Umfeld der Andokides-Gruppe zugeordnet wird, bildet ein Gorgoneion – ein weiteres Unheil abwehrendes Schutzsymbol.

Der Kampf der Griechen gegen die Amazonen gehört seit dem frühen 7. Jh. v. Chr. zum Repertoire der Vasenmaler. Dabei werden die Amazonen zunächst noch nicht ethnografisch charakterisiert. Sie tragen lange Gewänder, die einem Peplos ähneln und sie als Frauen kennzeichnen, kombiniert mit Rüstungsgegenständen wie Helm, Schild und Speer. Neben dieser Ausrüstung weicht auch ihr ausschreitendes, auf Aktivität hindeutendes Standmotiv vom normativen Frauenbild ab, das sich durch zurückhaltende Bewegungen auszeichnet. Im Laufe des 6. Jh. v. Chr. werden die Kriegerinnen hinsichtlich Kleidung und Rüstung den griechischen Hopliten angeglichen, d. h. sie kämpfen zu Fuß und mit schweren Waffen. Auch die Amazone auf der Augenschale ist mit ähnlichen Attributen wie ihr Gegner ausgestattet: Auch sie trägt einen Helm, einen Brustpanzer, einen Schild, ein Schwert und einen Speer. Ein auffälliger Unterschied – abgesehen von den in Weiß wiedergegebenen Hautpartien und dem Chiton der Amazone – ist jedoch ihre Helmform: Diese lässt bei der Kämpferin den Bereich des Gesichtes frei, um auf ihre Schönheit hinzuweisen.
Etwa ab dem frühen 5. Jh. v. Chr. häufen sich die orientalischen Attribute in Form von persischen, aber auch skythischen oder thrakischen Trachtelementen (z. B. lange Arm- und Beinkleider, phrygische Mütze, Streitaxt, Goryt). Die fremdländische Darstellung der Amazonen in den Vasenbildern deckt sich mit ihrer Beschreibung in den Schriftquellen. Diese lokalisieren ihre Heimat mal im nördlichen oder östlichen Schwarzmeerraum, mal in Anatolien – also im Siedlungsgebiet der Thraker, Skythen und Phryger.

Da die Amazonen ein äußerst beliebtes Bildmotiv der griechischen Kunst darstellten – zunächst vor allem in der Kleinkunst und Vasenmalerei, dann ab klassischer Zeit auch in der Großplastik – nimmt das mythische Volk einen großen Teil der noch bis 1. Januar 2020 laufenden Sonderausstellung im Lindenau-Museum ein. Neben der Jenaer Augenschale sind weitere antike Vasen mit Amazonendarstellungen sowie originale Plastiken und Gipsabgüsse von Amazonen aus Würzburg, Erlangen, Göttingen, Bonn und Leipzig zu sehen.
Doch die Amazonen sind freilich nicht die einzigen furchtlosen Frauengestalten der griechischen Mythologie. Die Ausstellung beschäftigt sich außerdem mit den wilden und ungezügelten Mänaden, der starken Jägerin Atalante, der entwaffnenden lydischen Königin Omphale, den verhängnisvollen Zauberinnen Kirke und Medea, der vergeltenden Kindsmörderin Prokne, der unerhörten Seherin Kassandra und der rigorosen Gattin Agamemnons, Klytaimnestra. Sie alle setzen sich aktiv für ihre Ziele ein und lassen sich nicht durch ihr „Frausein“ in der patriarchalen Gesellschaft ausbremsen. Dem Zeitgeist unserer heutigen Gesellschaft stehen diese Ausnahmen sicherlich näher als die damalige Norm.

Attisch-schwarzfigurige Augenschale (Kylix)
Ton
H. 13,4 cm, Dm. 29,5 cm (mit Henkeln 38 cm)
Datierung: um 530/520 v. Chr.
Fundort: Vulci
Sammlung Antiker Kleinkunst, Inv.-Nr. V 177

Victoria Kubale