Object of the month

Höchst merkwürdige und interessante Geschöpfe

Aus dem Ernst-Haeckel-Haus
Ernst Haeckel-Stylodictya (Stylocyolia) arachnia d.[e] M[essina] (1859)
 

Ernst Haeckels Italienreise (1859-1860) war Bildungs- und Forschungsreise zugleich. Die letzten Monate erforschte er im Golf von Messina Radiolarien (Strahlentierchen) über die sein Lehrer Johannes Müller (1801-1858) kurz vor seinem Tode gearbeitet hatte. Innerhalb von wenigen Wochen sammelte Haeckel über 100 neue Arten. Die Auswertung der in Messina gesammelten Radiolarien präsentierte er 1862 in seiner Monographie Die Radiolarien (Rhizopoda radiata) (Berlin 1862), für die er 1864 die Cothenius-Medaille der Akademie der Naturforscher Leopoldina erhielt.

Am 15.12.1859 berichtet Haeckel seinem Vater ausführlich von seiner Arbeit über die Radiolarien:

"Meine Hauptarbeit, in der ich jetzt so recht mittendrin und im besten Gange bin und die mir außerordentliche Freude macht, betrifft die radiären Rhizopoden, eine Tierklassem die erst vor wenig Jahren durch Ehrenberg (in ihren Kieselschalen) entdeckt und dann durch Johannes Müller lebend beobachtet worden ist. Diese höchst merkwürdigen und interessanten Geschöpfe stehen auf der untersten Stufe und an der Grenze tierischen Lebens und sind schon deshalb des sorgfältigsten Studiums wert. Es sind fast alle mikroskopisch kleine Gallertklümpchen, welche auf der Meeresoberfläche schwimmen, die allermeisten mit einem wunderschönen, glashellen Kieselpanzer von der allerzierlichsten Struktur bedeckt. Meist erscheint dieser als feines Gitter in Form einer Kugel, einer Glocke, eines Helms, Sterns usw. Bisher wurden hauptsächlich nur die reizenden, durch Schönheit und unerschöpfliche Mannigfaltigkeit der Gestaltungen äußerst anziehenden Formen dieser Kieselpanzer beschrieben, teils in Ehrenbergs großer Mikrogeologie, teils in Johannes Müllers letztem Opus posthumum. Auf letzterem, welches hier mein alltägliches Evangelium ist, baue ich nun weiter und suche insbesondere die feinere Zusammensetzung des von dem Kieselpanzer umschlossenen Gallertklümpchens (wovon meist wohl 100 oder 1000 auf einen einzigen Wassertropfen gehen) herauszubringen. Schon habe ich einige Fortschritte darin angebahnt und hoffe, noch ein gutes Stück weiterzukommen. Außerdem habe ich auch bereits einige neue Gattungen und Arten entdeckt (das meiste in den letzten Tagen), und zwar so überaus schöne und merkwürdige, daß ich vor Freude und Entzücken mich gar nicht zu fassen wußte und mir nichts leid tat, als nicht Euch, meine zoologischen Freunde, hier zu haben, um meine Glückseligkeit zu teilen. Ein so herrlicher Fund ist eine Freude, der kaum eine andere an die Seite zu stellen ist, die aber auch nur ein Naturforscher in ihrem ganzen Umfange begreifen und empfinden kann." (Ernst Haeckel an Carl Gottlob Haeckel, zitiert nach: Ernst Haeckel: Biographie in Briefen. Zusammengestellt und erläutert von Georg Uschmann. Leipzig, Jena, Berlin 1983, S. 55-56).

Die abgebildete Radiolarie Stylodictya (Stylocyolia) archnia hält Haeckel für identisch mit Johannes Müllers Stylocyclia [sic!] arachnia, die er aber aufgrund der fehlenden eingeschachtelten Markschale Ehrenbergs Gattung Stylodictya zuordnet (vgl. Die Radiolarien, S. 498).

Unser Objekt des Monats ist vom 31. Januar bis zum 29. Mai zusammen mit sieben weiteren Radiolarien-Skizzen in der Ausstellung Architecture of Life im BAMPFA (Berkeley Art Museum & Pacific Film Archive) zu sehen.

Ernst Haeckel: Stylodictya (Stylocyolia) arachnia d.[e] M[essina] (1859).Signatur: Ernst-Haeckel-Archiv der FSU Jena, B 20, Fig. 646.
Bleistift auf Papier, 23,6 x 18,1 cm.

Dr. Thomas Bach