Objekt des Monats

Etikett zur Identifikation eines Leichnams. Ein Mumientäfelchen aus der Jenaer Papyrussammlung

ΣΕΝΠΛΗΝΙΣ ΩΡΙΩΝ(ΟΣ)
ΕΒΙΩΣΕΝ ΕΤΩΝ ΙΗ
ΟΥΔΕΙΣ ΑΘΑΝΑΤΟΣ
ΕΝ ΤΟ ΚΟΣΜΩΙ

Σενπλῆνις Ὡρίων(ος)
ἐβίωσεν ἐτῶν ιη΄.
Οὐδεὶς ἀθάνατος
ἐν τῷ (tabula: το) κόσμῳ

Senplênis, <Tochter> des Hôriôn.
Hat 18 Jahre gelebt.
Niemand ist unsterblich
auf der Welt.

(Inv.-Nr. T.Zucker Inv. 1; Foto: Papyrussammlung des Instituts für Altertumswissenschaften)

Dieses Holztäfelchen (6,5 × 10 cm) wurde im 3. Jh. n. Chr. in Ägypten in griechischer Sprache beschrieben. Ägyptens offizielle Verwaltungssprache war seit der makedonischen Eroberung durch Alexander den Großen (332 v. Chr.) Griechisch. Als Ägypten von Rom erobert wurde (31 v. Chr.), wurde der gut funktionierende griechische Verwaltungsapparat beibehalten, sodass dort bis zur arabischen Eroberung (646 n. Chr.) das Griechische verwendet wurde. Dies und die klimatischen Bedingungen in Ägypten haben dafür gesorgt, dass viele griechische Texte dieser Zeit im Wüstensand erhalten geblieben sind.

So wurde auch dieses Täfelchen im Sand verschüttet, vergessen und ungefähr 1600 Jahre später wieder aufgefunden. Über den in dieser Zeit regen Antikenhandel kam es zwischen 1907 und 1910 in den Privatbesitz Friedrich Zuckers, später Professor für Gräzistik und Rektor der Universität Jena, der damals im Auftrag des Deutschen Archäologischen Instituts (DAI) Grabungen zur Auffindung antiker Texte auf Papyrus durchführte und wahrscheinlich in dieser Zeit auch privat Papyri und Ostraka (beschriebene Keramikscherben) kaufte, die er später der Papyrussammlung Jena überließ.

Unter diesen privaten Ankäufen Zuckers befinden sich auch drei Holztäfelchen, die auch Mumientäfelchen oder Mumienetiketten genannt werden. Sie dienten der Identifikation von Leichnamen, wenn sie zur Nekropole oder Mumifizierungsstätte transportiert wurden. Um Verwechslungen zu vermeiden, werden der Name der Verstorbenen („Senplênis“) und der Name des Vaters („<Tochter> des Hôriôn“) angegeben. Ungewöhnlich ist dagegen der Trostspruch („Niemand ist unsterblich auf der Welt“), da das Täfelchen nur vorläufig an der Mumie angebracht war und die rein funktionale Angabe des Namens und der Herkunft eigentlich ausreichen würde. In den Mumientäfelchen, die auf Demotisch (einer Schriftform der altägyptischen Sprache) geschrieben wurden, finden sich zwar häufig formelhafte Sprüche; jedoch beziehen diese sich in der Regel auf die jenseitige Reise der Seele der verstorbenen Person und nicht auf den Schmerz der Hinterbliebenen. An dieser Stelle kann man nur spekulieren, dass die Person, die das Täfelchen beschrieben hat, aus persönlicher Anteilnahme oder Erschütterung über den Tod einer so jungen Frau diesen Satz angefügt hat.

Bei „in der Welt“ hat sich im Griechischen ein Rechtschreibfehler eingeschlichen. Der Artikel „tôi“ ist statt mit Omega (langem „ō“) und iota adscriptum mit Omikron (kurzem „ŏ“) geschrieben, also „to“, und das iota fehlt. Das lässt vermuten, dass man in dem Griechischen, das zu dieser Zeit in Ägypten gesprochen wurde, schon keinen Unterschied mehr zwischen den beiden Formen hören konnte.

Jonathan Trächtler

Literatur:

Fritz Uebel, Die Jenaer Papyrussammlung, in: Reichtümer und Raritäten. Jenaer Reden und Schriften, Bd. 1, Jena 1974, 150-154. (Beschreibung und Abbildung des Täfelchens)

Herbert Klos, Katalogisierung von Mumientäfelchen, Libri – International Journal of Libraries and Information Services 1.1 (1951), 210-214. (Allgemein zu Mumientäfelchen)