Objekt des Monats

Schönheit, die zum Himmel stinkt

Aus dem Herbarium Haussknecht: Himantoglossum hircinum (L.) Spreng.

Orchideen mit ihren ausgefallenen Blüten faszinieren seit jeher die Menschen. Sie sind nach wie vor gleichsam in Kunst und Wissenschaft begehrt. Alle Vertreter der Pflanzenfamilie Orchidaceae stehen unter gesetzlichem Schutz und dürfen nicht gesammelt werden. Dies trifft auch auf die Bocks-Riemenzunge Himantoglossum hircinum zu (Korsch & Westhus 2011). Obwohl sie im Mittleren Saaletal noch zerstreut vorkommt, ist sie in Thüringen ansonsten recht selten. Zahlreiche historische Vorkommen sind mittlerweile erloschen. Die Riemenzunge wächst beispielsweise auf Halbtrockenrasen und in lichten Trockengebüschen. Das Hauptverbreitungsgebiet liegt in den wärmeren Gegenden Mitteleuropas, in Thüringen erreichte sie ihre nördliche Verbreitungsgrenze. Inzwischen hat sich die Situation jedoch verändert: die Art breitet sich derzeit aus. Neuerdings gibt es Vorkommen in Sachsen-Anhalt, für Thüringen sind etliche Neufunde belegt, wobei sogar sekundäre Lebensräume eingenommen werden (Voelckel 2014).

Auffälligstes Merkmal einer Einzelblüte ist der stark verlängerte und gedrehte Mittellappen. Sehr viele dieser Einzelblüten bilden zusammen einen stattlichen Blütenstand (Zündorf et al. 2006). Farblich ist die Orchideenblüte eher blass mit ihren grünlich-weißlich-bräunlichen Farbverläufen. Wie die meisten Orchideen verliert auch die Bocks-Riemenzunge im getrockneten Zustand ihre Farben.

Der gegen Ende des 18. Jahrhunderts von August Johann Georg Karl Batsch (1761–1802) gesammelte Pflanzenbeleg stammt aus der Umgebung Jenas. Interessant ist der Weg des Belegs in das Herbarium Haussknecht: Der gebürtige Jenenser Batsch studierte in Jena Medizin und Naturgeschichte und war ab 1786 außerordentlicher Professor an der hiesigen Universität, ab 1794 übernahm er gleichzeitig noch die Leitung des Botanischen Gartens als erster Direktor. Eine enge Verbindung bestand zwischen Batsch und Johann Wolfgang von Goethe. Batsch war außerdem Mitbegründer der 1793 gegründeten Naturforschenden Gesellschaft zu Jena (Pusch et al. 2015). In die botanischen Sammlungen der Gesellschaft („Societatis Jenensis“) gingen auch die von Batsch gesammelten Pflanzenbelege ein. Nach dessen Tod wurde Friedrich Siegmund Voigt (1781–1850) Verwalter dieser Sammlungen. Nach dessen Ableben wurden die letzten Bestände der Gesellschaft in die Sammlungen der Universität integriert und gelangten somit in die Obhut von Matthias Jakob Schleiden (1804–1881), dem damaligen Leiter der botanischen Einrichtungen an der Universität (Ziche 2002). Das Herbarium des Botanischen Instituts wurde in die Generalsammlung des Herbariums Haussknecht eingeordnet, nachdem dieses große, von Carl Haussknecht privat gegründete Herbarium an die Universität Jena angeschlossen worden und von Weimar nach Jena umgezogen war.

Der deutsche Name von Himantoglossum hircinum (L.) Spreng. verrät bereits viel über die Pflanze: nach (Ziegen-)Bock stinkende Riemenzunge (von Himas – Riemen, glossa – Zunge, hircus – Ziegenbock). Wer das mal riechen möchte, findet die Bocks-Riemenzunge auch im August noch auf den Halbtrockenrasen um Jena, wenn auch nur im vertrockneten Zustand. Aber bitte: stehenlassen!

Aus der Sammlung Herbarium Haussknecht
"Flora Jenensis"
Himantoglossum hircinum (L.) Spreng.
Sammlung Herbarium Haussknecht, Inv. Nr. JE00023874.
Maße: 28,3 x 48 cm.
Scan: Andrea Todt

Literatur:
Korsch, H. & Westhus, W. 2011. Rote Liste der Farn- und Blütenpflanzen (Pteridophyta et Spermatophyta) Thüringens. 5. Fassung, Stand: 10/2010. – Naturschutzreport 26: 366–390, hier S. 378.
Pusch, J., Barthel, K.-J. & Heinrich, W. 2015. Die Botaniker Thüringens. – Haussknechtia Beih. 18. S. 38–40.
Voelckel, H. 2014. Himantoglossum hircinum (L.) Spreng. Bocks-Riemenzunge. – In: Heinrich, W. et al. Thüringens Orchideen. – Uhlstädt-Kirchhasel: Arbeitskreis Heimische Orchideen Thüringen e.V. S. 561–571.
Ziche, P. 2002. Die Jenaer Naturforschende Gesellschaft und ihre Bedeutung für die Naturforschung in Jena. In: Döring, D. & Nowak, K. (Hrsg.): Gelehrte Gesellschaften im mitteldeutschen Raum (1650–1820), Teil 2. S. 107–131, hier S. 121 und 129.
Zündorf, H.-J., Günther, K.-F., Korsch, H. & Westhus, W. 2006. Flora von Thüringen. – Jena: Weißdorn Verlag. S. 501.

Kristin Victor / Dr. Jörn Hentschel