Objekt des Monats

Gesammelte Erinnerungen

Aus dem Herbarium Haussknecht: Cartes de Visite von Benjamin Schneider (1807–1877) und
Susan M. Abbott Schneider (1820–1905).

Carl Haussknecht, der Gründer des Herbariums Haussknecht, unternahm in den Jahren 1865 und 1866 bis 1869 zwei ausgedehnte Reisen durch den Vorderen Orient. Dort sammelte er Tausende von Pflanzen, trocknete und presste sie und bestimmte sie zum Teil zusammen mit seinem Botaniker-Kollegen und Reise-Auftraggeber Edmond Boissier in Genf. Haussknechts Pflanzenaufsammlung leistete einen immensen Beitrag zur Vervollständigung der von Boissier herausgegebenen 6-bändigen Flora Orientalis und bildete zudem den Grundstock seines eigenen Herbariums.

Auf seinen beiden Reisen traf Haussknecht viele verschiedene Persönlichkeiten, vom „Räuberchef“ bis hin zum Schah. Viele dieser Bekanntschaften ließ Haussknecht in eine Art Poesiealbum oder Stammbuch eintragen. Außerdem sammelte er auch Fotografien, sogenannte Cartes de visite. Im Herbarium Haussknecht ist eine Schachtel mit 89 solcher Fotografien erhalten (Gründig 2016). Einige dieser Cartes de visite erwarb Haussknecht in den Fotoateliers der größeren Städte, andere wurden ihm persönlich von seinen Weggefährten übergeben.

Die beiden Cartes de visite des Ehepaares Schneider erhielt Haussknecht in ʿAintâb (Gaziantep) –sowohl während seiner ersten als auch während seiner zweiten Reise nahm er mehrfach Quartier bei den Schneiders, den Kontakt vermittelte Boissier (Knost 2020).

Reverend Benjamin Schneider (1807­–1877) war ein amerikanischer Missionar. 1849 kam er, zusammen mit seiner ersten Frau Eliza Cheney Abbott (1809–1856), nach ʿAintâb um dort die 1848 gegründete protestantische Kirche zu leiten. Er gehörte dem American Board of Commissioners for Foreign Missions an, einer US-amerikanischen Auslandsmissionsgesellschaft für das Christentum. Nach dem frühzeitigen Tod seiner ersten Frau heiratete Benjamin Schneider deren Schwester Susan Abbott. Beide Frauen waren ebenfalls missionarisch tätig. Sie kümmerten sich vorwiegend um die einheimischen Frauen und Mädchen und unterrichteten sie in Sonntagsschulen.

In Haussknechts Tagebuch sind einige Passagen der Missionierung des Orients gewidmet und über Herrn Schneider ist beispielsweise folgendes zu lesen: „Sonntag, den 25.6. Mittag war ich in der protestantischen Kirche, um Herrn Schneider predigen zu hören. Sehr feurig.“ (Tagebuch 1. Reise, Heft 2, S. 15).

Neben den Cartes de visite bezeugen auch zwei Stammbuch-Einträge sowie die Korrespondenz zwischen den Schneiders und Haussknecht ihre Verbundenheit. Unterstrichen wird diese von Haussknechts Worten in seinem Tagebuch. Am Ende seiner ersten Reise nahm er den Rückweg über ʿAintâb und schrieb am 15. November 1865 in sein Tagebuch: „[…] und als ich auf der letzten Hügelreihe vor Aintab angekommen war und plötzlich unter mir die herrlich grünen Saatfelder, dahinter Aintab mit seinen Minarets erblickte, jauchzte ich laut auf und trieb mein Roß zu größerer Eile an und nach ¼ Stunde lag ich in den Armen meiner theuern Freunde, der Familie Schneider.“ (Tagebuch 1. Reise, Heft 4, S. 68)

Kristin Victor

Mehr zum Herbarium Haussknecht (JE) gibt es hier 

Literatur:
Gründig, Matthias: Der Schah in der Schachtel. Soziale Bildpraktiken im Zeitalter der Carte de visite. Marburg: Jonas Verlag, 2016.
Knost, Stefan: Grenzen und Fremdheitserfahrungen: Die Beobachtungen des Forschungsreisenden
Carl Haussknecht in der Provinz Aleppo (1865). In: „Reisende im und aus dem Orient“, Bamberger Orientstudien, (2020, in Drucklegung).

Die Digitale Edition der Reisetagebücher Carl Haussknechts (1838–1903): Osmanisches Reich und Persien. Herausgegeben von Frank H. Hellwig, Christine Kämpfer, Stefan Knost, Hanne Schönig, Kristin Victor, Christoph U. Werner unter http://haussknecht.thulb.uni-jena.de. Bamberg, Halle, Jena, Marburg, 2017–[Work in Progress]. Gefördert von der DFG (318862275).