Objekt des Monats

„Täglich ein Esslöffel… und regelmäßig Lichtduschen“

Aus der Medizinhistorischen Sammlung am Universitätsklinikum Jena: Braunglasflasche für Lebertran, 1950er Jahre

In den 1950er bis 1970er Jahren erlangten zwei medizinische Heilverfahren in Ost und West große Verbreitung, um sowohl Erwachsenen als auch körperlich schwachen Kindern der Nachkriegsgeneration gemäß damaligem Kenntnisstand „gesundheitliche Stärkung“ angedeihen zu lassen: Lebertran und „Höhensonne“.1 Neben dem fördernden Einfluss beider Anwendungen auf die komplexen Vitamin-D-Wirkungen wurden zahlreiche positive Effekte auf das allgemeine Wohlbefinden propagiert.

Lebertran ist ein Gemisch verschiedener Substanzen, das auch Vitamin D3-reiche Öle aus den Lebern dorschartiger Fische, wie Kabeljau oder Schellfisch, enthält. Vorrangig diente Lebertran seit Anfang des 20. Jh. der vorbeugenden Behandlung der „Englischen Krankheit“ (Rachitis), einer Störung des Mineralstoffwechsels für den Knochenaufbau − empirisch genutzt, jedoch erst ab 1927 wissenschaftlich nachgewiesen − als Folge von Vitamin D-Mangel bei Säuglingen und Kleinkindern. Der natürliche Lebertran galt als bedeutendes Beispiel für die zeitgeschichtliche Wechselwirkung von Naturstoffchemie und -forschung, medizinischer Anwendung sowie gesellschaftspolitisch-pädagogischen Anschauungen [1]. Apotheker stellten das „Naturheilmittel“ nach der Standardrezeptur des Deutschen Arzneibuchs (DAB) her und etikettierten die Behältnisse wie die hier gezeigte Braunglasflasche (Abb.1+2). Gefürchtet war die tägliche Einnahme von Lebertran im Winterhalbjahr bei Kindern wegen des ranzig-fischartigen Geruchs und Geschmacks der gelblichen Emulsion − nicht selten Anlass für Eltern-Kind-Konflikte. Geschmackszusätze, Lebertran-Kapseln sowie synthetische Vitamin-D-Präparate der Pharmaindustrie versprachen Fortschritt.

Die Lebertranflasche ist als Leihgabe in der Sonderausstellung „Kindheit – Erinnerungen aus acht Jahrzehnten“ des Museums für Thüringer Volkskunde in Erfurt noch bis 31.Oktober 2021 zu sehen, https://www.volkskundemuseum-erfurt.de/vm/de/index.html (letzter Zugriff 08.08.2021). Das Etikett der Braunglasflasche stammt von der Firma C. Görling GmbH, Merseburg a.S.

Was wurde aus diesen Heilverfahren?

Heute werden Vitamin D-Präparate als rezeptfreie „Nahrungsergänzungsmittel“ beworben und unkontrolliert konsumiert, was riskant und bei gesunder Ernährung sowie Aufenthalten im Freien auch fragwürdig ist.  Kuriosum: Der Mythos Lebertran ist auch im 21. Jh. ungebrochen! Ein fachärztlich festgestellter Mangel an Vitamin D (Nachweis im Blutserum) erfordert indes eine individuelle Substitution [3]. Im aktuellen Diskurs über den Nutzen von Vitamin D als Behandlungsoption im Rahmen der Corona-Pandemie entstanden diverse Empfehlungen für Risikopatientengruppen [4].
Seit den 1970er Jahren wurde UV-Licht kommerziell als allgemein „gesundheitsfördernde Maßnahme“ einschließlich des „Schönheitsideals“ sonnengebräunter Haut angepriesen (bspw. Sonnenstudios, Heimsonnen) [5]. Längst ist belegt, dass unkritische Anwendungen, aber auch der Verzicht auf geeignete Schutzmaßnahmen gegen UVB-Strahlen bei längerer Sonnenexposition im Freien schwere Spätschäden der Haut (bspw. Krebs) verursachen können. Das sogenannte Ozonloch in der Erdatmosphäre leistet dem Vorschub. Empfohlen werden demgegenüber zeitbegrenzte Luft-Sonnenbäder auf unbedeckte Hautareale, v.a. in der sonnenarmen Jahreszeit. Moderne medizinische UV-Strahler dienen der supportiven Behandlung von Hautkrankheiten [6]. Künstliche UVC-Strahlen ermöglichen die nachhaltige Entkeimung und Desinfektion von Luft, Wasser oder Oberflächen [7].

Medizinhistorische Sammlung am Universitätsklinikum Jena
Braunglasflasche für Lebertran, Schraubverschluss, 300ml, leer, etikettiert, DDR, 1950er Jahre (Apothekenmischung)
Glas, Kunststoff, Aluminium, Papier
Höhe 17 cm, Durchmesser 7 cm,  Gewicht 194 g
Inv.-Nr. E-408

„Höhensonne“ Thelta-Sonne, Tischmodell Typ Q62, 220V/500 Watt,
VEB (K) Thelta Zella-Mehlis, DDR, ca. 1960
Metall, Glas, Kunststoff, Gummi, Keramik
Höhe 43,5 cm, Reflektordurchmesser 28,5 cm, Standfuß: Länge 26 cm, Breite 21,8 cm, Gewicht 2 kg
Inv.-Nr. C-283

UV-Schutzbrille, Erwachsenenmodell, DDR, 1960er Jahre
Leder, Aluminium, Glas, Textil
Länge 20,3 cm, Breite 5,8 cm, Höhe 0,9 cm, Gewicht 28 g
Inv.-Nr. C-272

Dr. Reiner Gottschall

 

1Der Autor erlebte beide Anwendungen Mitte der 1950er Jahre                   
2 Das UV-Licht entdeckte im Jahr 1801 der Physiker Johann Wilhelm Ritter (1776-1810), der ab 1796 in Jena Naturwissenschaften studierte, https://de.wikipedia.org/wiki/Johann_Wilhelm_Ritter (letzter Zugriff 08.08.2021).

Quellen

[1] Stoff H. 1927 - „Dann schon lieber Lebertran“, staatliche Rachitisprophylaxe und das wohlentwickelte Kind. in: Eschenbruch N, Balz V, Klöppel U, Hulverscheidt M (Hg) Arzneimittel des 20. Jahrhunderts. transcript Verlag, Bielefeld 2009, S.53-76
[2] Ingold N. Lichtduschen - Geschichte einer Gesundheitstechnik, 1890-1975. Chronos-Verlag, Zürich 2015, S.154
[3] Karger S, Roth A. Vitamin D - Untersuchung, Prävention und Behandlung eines Mangels. Ärzteblatt Sachsen 2017; 9:416-422
[4] Dtsch Arztebl 2021; 118(22): A-1108 / B-911
[5] UV-Fibel, Bundesamt für Strahlenschutz, braunschweig-druck GmbH, Braunschweig 2007
[6] Goetze S, Elsner P. Stellenwert der UV-A1-Therapie in der photodermatologischen Diagnostik und Therapie entzündlicher und onkologischer Hauterkrankungen. Ärzteblatt Thüringen 2017; 9:489-492
[7] https://uvc-strahlung.de/ (letzter Zugriff 08.08.2021)