Objekt des Monats

En Vogue am Collegium Jenense

Aus der Sammlung Ur- und Frühgeschichte: Wams aus Seidensamt mit Spitzenbesatz aus einer Bestattung der Kollegienkirche Jena, Frühe Neuzeit.

Das Wams aus einer Bestattung der Kollegienkirche datiert in die 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts. Es konnte während der Grabungen, die in den 1950er Jahren auf dem Areal der im Frühjahr 1945 zerstörten Jenaer Kollegienkriche zusammen mit weiteren Textilien, einem silbernen Fontanellenblech sowie einem Goldring mit Steineinlage geborgen werden.

In den Gruftbestattungen der Kollegienkirche, in denen Angehörige der Universität und deren Familienmitglieder bestattet wurden, konnten sich Textilien mitunter sehr gut, manche sogar annähernd vollständig erhalten. Um ein sehr umfangreich erhaltenes Obergewand handelt es sich bei dem hier vorgestellten Wams.

Zunächst mussten die Ablagerungen aus Staub, Schimmel und Insektenresten vorsichtig, unter ständiger Beobachtung unter dem Mikroskop von der Oberfläche des Wamses abgesaugt werden. Das darunter zum Vorschein kommende Wams besteht aus einem sehr dicht gewebten Seidensamt, dessen leuchtendes Braun möglicherweise der ursprünglichen Farbe entspricht und nicht zwingend das Ergebnis der Zersetzungsprozesse innerhalb der Gruft sein muss (Abbildung 1 und 2). Es handelt sich um ein kurz geschnittenes Wams mit hochliegender gerader Taillenlinie, an der acht querrechteckige Schoßteile ansetzen, wobei mindestens zwei Schoßteile aus einem anderen Samt gearbeitet sind (Abbildung 5). Der hohe Stehkragen konnte mit vier, am rechten Saum angebrachten geflochtenen Seidenschlaufen und den am linken Saum angenähten Knöpfen geschlossen werden. Die Knöpfe fehlen jedoch, wie auch alle weiteren 19 Knöpfe der vorderen Knopfleiste fehlen. Die Knopflochleiste wird von einer schmalen geklöppelten Seidenspitzen gerahmt, wie sie sich auch appliziert über vielen Nähten und Säumen des Wamses wiederfindet (Abbildung 6). Die aufgrund des vergangenen Nähfadens nicht mehr mit dem Wams verbundenen halblangen Ärmel werden am Saum von einer breiten geklöppelten Seidenspitze verziert (Abbildung 3 und 4). Abdrücke und Reste von Nähfäden verweisen darauf, dass hier zusätzlich ursprünglich weitere Dekorationen angebracht waren. Auf der Innenseite sind die Säume mit einem Seidengewebe abgedeckt, die übrigen Bereiche des Wamses sind mit einem Gewebe aus Pflanzenfasern gefüttert, welches nur fragmentarisch erhalten ist. Zur Versteifung wurden außerdem Fischbeinstäbe eingearbeitet.

Aufgrund von Beschreibungen in den Grabungsprotokollen könnte das Wams aus der Bestattung des Johann Arnold Friderici stammen. Er war ab 1664 ordentlicher Professor für Anatomie, Chirurgie und Botanik am Collegium Jenense und starb 1672. Ein Portrait, auf dem er mit einem sehr ähnlich geschnittenen und verzierten Wams dargestellt wird, erhärtet diesen Verdacht (Abbildung 7). Nur die Verzierung der Ärmelsäume mit üppigen Bandschlaufen unterscheidet sich von dem Wams aus der Bestattung. Doch finden sich gerade hier die Abdrücke, die auf eine zusätzliche, nicht erhaltene Verzierung hinweisen, bei der es sich um Bandschlaufen, oder beispielsweise auch um große Seidenschleifen gehandelt haben könnte. Der Form nach weist das Wams Ähnlichkeiten mit einem reich mit Pergamentspitzen verzierten Wams mit geschlitzten Ärmeln aus der Kostümsammlung Hüpsch auf, welches sich im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt befindet. Es wird in die Zeit um 1660 datiert. Das Wams aus der Bestattung in Jena dürfte etwas später entstanden sein, was sich gut in die Lebensdaten von Johann Arnold Friderici einfügen würde [1] Friderici ließ sich also nach den ersten Einschätzungen mit einem Wams der aktuellen Mode darstellen und zuletzt auch bestatten. Die Untersuchung der ebenfalls erhaltenen Samthose wird mit großer Sicherheit weitere Informationen zur zeitlichen Einordnung und Dekoration des Wamses beitragen können. Deren Bearbeitung steht, wie die der gestrickten Seidenstrümpfen und der Perückenmontur allerdings noch aus.

In jedem Fall stellen das Wams sowie die weiteren Textilfunde aus der Kollegienkirche einige der wenigen erhaltenen Beispiele bürgerlicher Kleidung der frühen Neuzeit dar, deren Erforschung sehr viel Potenzial birgt.

Die Restaurierung der wertvollen Textilien aus den Grüften der Kollegienkirche wird ab nächstem Jahr fortgesetzt. Die Friedrich-Christian Lesser Stiftung unterstützt dabei mit einem Stipendium ab Februar 2022 die Arbeit einer zweiten Textilrestauratorin.

Sammlung Ur- und Frühgeschichte
Inventarnummer: 50810a-c
Zeitstellung: frühe Neuzeit
Material: Seidensamt, Seidenspitzen, Futter aus Seiden- und Pflanzenfasergewebe
Maße: Höhe Vorderseite: 42 cm, Ärmellänge: ca. 40 cm

Friederike Leibe-Frohnsdorf

Literatur:

Sabine MARTIUS, Die ungemusterten Samte. In: Jutta Zander-Seidel (Hrsg.), In Mode – Kleider und Bilder aus Renaissance und Frühbarock, Ausstellungskatalog, Germanisches Nationalmuseum, 3. Dezember 2015 bis 6. März 2016, Nürnberg 2015, S. 252-255.

Johannes PIETSCH und Karen STOLLEIS, Kölner Patrizier- und Bürgerkleidung des 17. Jahrhunderts – Die Kostümsammlung Hüpsch im Hessischen Landesmuseum Darmstadt, Riggisberger Berichte 15, Riggisberg 2008, besonders Kat.-Nr. 16, S. 288-301.


[1] Für eine Einschätzung zu dem Wams und für das freundliche und informative Telefonat danke ich Dr. Johannes Pietsch (Wissenschaftlicher Referent für Textilien, Kostüm, Leder und Trachten am Bayerischen Nationalmuseum, München).