Objekt des Monats

Eine Zauberschale aus der Hilprecht-Sammlung

Die Zauberschale Inv.-Nr. HS 3034 aus der Hilprecht-Sammlung (Foto: Hannah Bayer)

Von den 3300 Objekten der Hilprecht-Sammlung in Jena zählen ca. 65 Zauberschalen und Zauberschalenfragmente zu den bedeutendsten Fundstücken, die während der Ausgrabungskampagnen der Universität von Pennsylvania in den Jahren 1889-1900 in der antiken Stadt Nippur im Süden des heutigen Irak entdeckt wurden. Im Jahr 1925 überließ Hermann V. Hilprecht, der Field Director der Ausgrabungen, einen Teil der Artefakte der Friedrich-Schiller-Universität in Jena, darunter auch die genannten Zauberschalen. Die Zauberschalen sind hauptsächlich auf die sassanidische Periode datiert (4.-7. Jh. n. Chr.) und enthalten aramäische Beschwörungen gegen Dämonen. Zu diesen gehört die Dämonin Halbas-Lilit, die im Objekt HS 3034 der Hilprecht-Sammlung erwähnt wird.

 HS 3034 hat einen Durchmesser von 15 cm und ist 6 cm hoch. Ein Drittel der Schale fehlt und der konservierte Abschnitt wurde mittels mehrerer Fragmente rekonstruiert. Der Text entfaltet sich spiralförmig vom Gefäßboden bis zum Rand der Schale. Er ist in Standard-Literarisch-Babylonisch-Aramäisch verfasst, einem Dialekt des Aramäischen, der sich im 2. Jh n. Chr. in Mesopotamien etablierte.

In der Mitte der Schale ist eine Darstellung der Dämonin Halbas-Lilit, Enkelin Zarnay-Lilits, zu erkennen. Die geflügelte Dämonin ist mit einem runden Oberkörper abgebildet, welcher von konzentrischen Kreisen geziert ist. Ihr langer Hals führt zu einem kleinen Kopf mit langen, zerwühlten Haaren. Ihre Arme sind ausgestreckt, während ihre Füße gefesselt erscheinen. Die überwiegende Anzahl der beschrifteten Zauberschalen wurde umgedreht, mit der Innenseite nach unten, unter Fußböden und Türschwellen vergraben, vermutlich um Dämonen wie in einer Mausefalle einzufangen und fern von den Häusern zu halten.

Die Dämonin Hablas-Lilit wurde für die hohe Kindersterblichkeit verantwortlich gemacht, was eine existenzbedrohende Besorgnis der Gesellschaft dieser Zeit darstellte. Die Beschwörung auf HS 3034 verdeutlicht, wie die kindervernichtende Dämonin „männliche und weibliche Kleinkinder plagt und zer[schlägt, würgt und verschl]ingt und männliche Kleinkinder aus dem Schoß ihrer Mütter raubt“. Die Beschwörung zielt speziell darauf ab, eine Frau genannt Mama und ihren Sohn, Abraham, vor dem bösartigen Willen der Dämonin zu schützen. Der Zweck der Zauberschale wird am Ende der Beschwörung noch klarer formuliert: „Ich schicke dich aus den Häusern und aus den Wohnungen und den Körpern der Mama […] und des Abrahams, ihres Sohns […] Brich aus, gehe hinaus und fliehe.“

Soobin Jeong, Marie Young

Literatur:

Ford, James Nathan, and Matthew Morgenstern, Aramaic Incantation Bowls in Museum Collections, Leiden: 2019.

Müller-Kessler, Christa, Die Zauberschalentexte in der Hilprecht-Sammlung, Jena, und weitere Nippur-Texte anderer Sammlungen, Wiesbaden: 2005.

Müller-Kessler, Christa, Lilit(s) in der aramäisch-magischen Literatur der Spätantike: Teil I: Wüstenbeherrscherin, Baum-Lilit und Kindesräuberin, Altorientalistische Forschungen 28, 2001, 338-352.

Müller-Kessler, Christa, The Story of Bguzan-Lilith, Daughter of Zanay-Lilith, Journal of the American Oriental Society 116, 1996, 185-195.