Objekt des Monats

Vom betörenden Gesang der Sirenen

Aus der Sammlung Antiker Kleinkunst: Bauchamphora des Sophilos, frühes 6. Jh. v. Chr.
(Fotos Hannah Bayer)

Die Bauchamphora stammt aus dem ersten Viertel des 6. Jh. v. Chr und wird aufgrund stilistischer Kriterien dem attischen Vasenmaler Sophilos zugesprochen. Gefunden wurde sie jedoch in einem Grab vor den Toren der etruskischen Stadt Veji nahe Rom.

Griechische Keramik wurde weithin über die Grenzen Athens exportiert, ob in die Schwarzmeerregion, nach Ägypten oder nach Italien. Die attischen Vasen erfreuten sich schließlich so großer Beliebtheit, dass sie die korinthische Töpferkunst ab Mitte des 6. Jahrhunderts verdrängte. Der athenische Vasenmaler Sophilos, der zwischen 590 und 570 v. Chr. tätig war, ist uns nicht nur durch seine Kunstfertigkeit bekannt, sondern auch durch das Bedürfnis, seine Werke zu signieren. Er gehört zu den ersten Künstlern überhaupt, die ihre Werke namentlich kennzeichneten. In der Vasenmalerei war der Athener sogar der allererste Vertreter, der dies tat.

Die Bauchamphora ist vollkommen intakt. Bis auf einen Durchbruch in der unteren Gefäßwand, sowie abgeplatztem Ton an Lippe und am Fußende, hat das Gefäß die Zeit makellos überdauern können. Große Teile der unteren Partie sind allerdings von einem Fehler geprägt: falls die Töpfer die Gefäße in ihrem Brennofen nicht gleichmäßig verteilten, die Gefäße zu nah am Rand des Ofens gestellt wurden oder anderweitig nicht ein gleichmäßiger Brand garantiert werden konnte, kam es zu Fehlbrandstellen, die durch unterschiedliche Farben im Ton zu erkennen sind. Im Falle der Sophilos-Amphora ist dies an der rötlichen Verfärbung des eigentlich schwarzen breiten Zierstreifens im unteren Drittel der Vase zu sehen. In größerem Maße sind Fehlbrandstellen auf der anderen Seite im Bereich der Löwenunterkörper zu erkennen.

Den prominentesten und größten Bereich des Bildfeldes schmücken zwei antithetisch angeordnete Sirenen. Diese Fabelwesen aus der griechischen Mythologie sind Mischwesen aus Frau und Vogel, die mit ihren betörenden Gesängen die Besatzung vorbeifahrender Schiffer anzulocken und zu töten versuchten. Für gewöhnlich haben sie den Kopf einer Frau, der restliche Körper erscheint in der Gestalt eines Vogels. Bekannt sind die Fabelwesen aus den Geschichten der Odyssee, als der Held Odysseus seiner Schiffsmannschaft auf Rat der Zaubrerin Kirke dazu veranlasste, ihre Ohren mit Wachs zu verstopfen, um von den Gesängen nicht manipuliert zu werden. Der Held selber ließ sich an den Mast binden, um dem Gesang zu lauschen, jedoch nicht in die Versuchung zu kommen, dem Gesang der unheilvollen Sirenen zu folgen und sich ins Meer zu stürzen. Die Sirenen auf der Amphora zeichnen sich durch ihre großen, in schwarz gehaltenen Sichelflügeln aus, sowie ihrer ebenfalls in schwarz angegeben Haarpracht in Form von Locken. Am hinteren Ende des Körpers ist die Farbe ihrer Schwanzfedern in schwarz und rot gemalt. Der Rest ihres Köpers, bis auf Hals und vordere Brust, ist rot bemalt worden. Zwischen den Köpfen der Sirenen befindet sich eine Blattrosette, im Raum zwischen ihren Unterleibern eine Punktrosette.
Die andere Seite zieren zwei große, ebenfalls antithetisch angeordnete Löwen, deren Köpfe rückwärtsgewandt sind. Die Köpfe, Hälse und Streifen auf den Hinterschenkeln sind rot bemalt. Der Schwanz des linken Löwen ringelt sich nach oben, wohingegen der des rechten Löwen zwischen den Hinterbeinen durchgezogen erscheint. Die verbleibenden Zwischenräume sind mit unterschiedlich großen Punktrosetten gefüllt. Die Bildfelder der beiden Seiten werden oben von einem Lotusblüten-Palmetten-Band abgeschlossen. Der untere Teil des Körpers ist tongrundig geblieben und mit Strahlenkranz verziert.

Das Gefäß wurde vermutlich zwischen 1842 und 1845 in Veji von dem italienischen Bankier Marchese Giovanni Pietro Campana ausgegraben, der sich auch als Archäologe betätigte. Im Jahr 1846 schenkte Campana, der eine der größten privaten Antikensammlungen des 19. Jahrhunderts besaß, eine Anzahl von 106 Objekten - darunter originale Keramiken, Terrakottareliefs sowie mehrere Dutzend Gipsabgüsse - dem Herzog Joseph von Sachsen-Altenburg, die dieser dem von Carl Wilhelm Goettling gerade neu gegründeten Archäologischen Museum der Universität Jena als Gründungsbestand überließ. Campana bekam dafür vom Altenburger Herzog das Komturkreuz des Sachsen-Ernestinischen Hausordens. Wenig später wurde Campana wegen Veruntreuung zu Zwangsarbeit und Kerkerhaft verurteilt, seine Sammlung vom Kirchenstaat eingezogen und versteigert. Sie bildet heute den Kern der Antikensammlungen des Louvre in Paris oder der St. Petersburger Eremitage, die große Teile davon ankauften.

Mit der Schenkung Campanas und der Gründung des Archäologischen Museums wird sich die erste Ausstellung des neu eröffneten Institutsgebäude Fürstengraben 25 unter dem Titel „Gauner, Gönner und Gelehrter. Die Schenkung des Marchese Giovanni Pietro Campana von 1846“ (7. November 2018 - 30. März 2019) beschäftigen. Gleichzeitig findet im Musée du Louvre/Paris die große SonderausstellungUn rêve d’Italie. La collection du marquis Campanastatt, in der die Sophilos-Amphora vom 7. November 2018 bis zum 18. Februar 2019 zusammen mit acht weiteren Jenaer Leihgaben gezeigt wird.

Datierung: frühes 6. Jh. v. Chr.
Material: Ton
Maße: Höhe 46,6 cm
Durchmesser der Mündung  23,2 cm
Inv.-Nr.: V 178

Norman Brunnenkref, Dr. Dennis Graen