Objekt des Monats

Frank Stella: Garrison (1995)

Frank Stella: Garrison (1995), aus der Hudson River Valley Series, Rostfreier Stahl, 205 x 162 x 172 cm, Kustodie (Kunstsammlung) InvNr. 2011/2
Ernst-Abbe-Platz Jena (Foto: Jan-Peter Kasper, Universität Jena)

Anläßlich seines 75. Geburtstags kehrt der Künstler nach Jena zurück, wo ihm 1996 die Ehrendoktorwürde verliehen wurde. Vom 15. Oktober bis 4. Dezember 2011 zeigt er „Neue Arbeiten“ im Straßenbahndepot der JeNah.

Gerne werden die Skulpturen des amerikanischen Künstlers und dem doctor honoris causa der Philosophischen Fakultät mit verschiedensten Bezeichnungen apostrophiert:

Das eine Mal sind es die „Schrottskulpturen“, ein anderes Mal sind es „Teile eines Flugzeugabsturzes“, die sich auf dem Campus des Ernst-Abbe-Platzes verstreut haben. Besonders kreative Beobachter sehen in den Arbeiten gar die industriellen Überreste des alten Carl-Zeiss-Werkes, auf dessen Boden sich die fünf Skulpturen heute befinden. Bei kaum einem aufmerksamen Betrachter wird die Assoziation geweckt, die Stella eigentlich mit diesen Skulpturen verbindet: Wie der Titel der Serie eindeutig intendiert, handelt es sich bei den Werken um Landschaftsdarstellungen von Gegenden entlang des Hudson Flusses. Ob Newburgh, Fishkill, Bear Mountain, Peekskill oder Garrison – all dies sind kleine Städte, bezaubernde Ortschaften oder beeindruckende Nationalparks, nicht mehr als eine Autostunde entfernt von der pulsierenden Metropole New York. Während New York von einem industriellen Speckgürtel umgeben ist, zeichnet die Besonderheit der Orte von Stellas „Hudson River Valley Series“ aus, dass sie von der einzigartigen nordamerikanischen Naturlandschaft umgeben sind.

Dieses von der Naturlandschaft umgeben sein stellt sich vor allem bei der kleinsten Skulptur der Serie ein, die sich vor dem Durchgang zur Krautgasse und direkt neben der Mensa am Ernst-Abbe-Platz befindet. Bei dem mit „Garrison“ betitelten Werk zeigt sich das kompositorische Zentrum als eine Trichterform, die schwer auf einem deformierten, sockelartigen Körper ruht. Das Prinzip von Tragen und Lasten wird an dieser Skulptur besonders deutlich, da der tragende Sockel die überdimensionierte Trichterform wohl kaum alleine zu tragen vermag und dem übermäßigen Gewicht der Form scheinbar auch nachgibt. Die Statik des gesamten Objekts wirkt dadurch nicht gerade vertrauenserweckend, vielmehr entwickelt sich die aus massivem Stahl gegossene Skulptur hin zum Fragilen. Diese Unsicherheit, die sich zunehmend bei dem Betrachter einstellt, ist ein Bewegungs- und Veränderungsmotiv, welches der gesamten Skulptur inhärent ist. D.h. Die scheinbar so statische Skulptur wirkt plötzlich dynamisch. Besonders deutlich wird dies bereits anhand des Materials, denn der rostfreie Stahl verändert sich ständig. Je nach Wetterlage changiert die Tonalität des Stahls immerzu zwischen sonnig glänzend und wolkig matt bis hin zu rostbraun im Regen. Auch die Perspektiven auf die Skulptur sind einem solchen Bewegungsmotiv unterworfen:

Ständig eröffnen sich neue Ansichten auf und sogar in die Skulptur hinein. Am deutlichsten wird dieses Motiv der Bewegung anhand der Trichterform, welche dem Betrachter sowohl Ein- wie gleichzeitig auch Ausblicke gewährt. Einzig strukturierend und statisch wirken an der Skulptur die klassischen Elemente künstlerischen Arbeitens, die sich aus dem Gießen der Formen ergeben haben. Einfüllstützen, Stege und Kanäle geben dem Betrachter Halt und ermahnen ihn, dass es sich hier um eine gegossene Skulptur und nicht um eine Komposition von vorgefundenem „Schrott“ handelt.

Dieses Erleben ständig neuer Eindrücke und Bilder der Skulptur beim Betrachter, ist ein sensitiver Vorgang, der vergleichbar ist mit eigenen Landschaftserfahrungen. So versuchen die bildlich gemeinten Skulpturen der gesamten Serie die Aspekte einer solchen Naturerfahrung zu isolieren und erfahrbar zu machen. Um diese intendierte Assoziation zu erleben und anhand der Skulpturen nachzuvollziehen, bedarf es zweifelsohne einer gewissen Offenheit gegenüber dem Objekt und auch eines genaueren, zweiten Blicks auf die Kunstwerke.

Stephan Rößler