Monseigneur,

Goethe stellt fest, daß es ein großer Fehler ist, sich weniger zu achten, als man wert ist. Sollte ich diesen Fehler gemacht haben, als ich dachte, Eure Königliche Hoheit würde kaum bemerken, wenn ich keine Briefe schreibe? Liszt beschreibt am 22. Dezember 1873 in einem Brief an Baronin von Meyendorff die Schwierigkeiten, die er beim Verfassen dieses Briefes und bei der Festlegung seines Ziels hatte: „Selten habe ich so viele Probleme gehabt, einen Brief zu verfassen wie bei diesem, den ich endlich gerade an M.[onseigneur] Sasch[a] abgeschickt habe. Ich wollte Loën ihm gegenüber aufrichtig loben, dessen Haltung hier untadelig war und dann Gille erwähnen und den <‚deutschen allgemeinen Musik Verein‘> und auf einen langen Brief von Gille reagieren, den ich vorgestern erhalten habe und der sich auf dessen kürzliche Unterhaltung mit M. Sasch über den <‚Verein> bezieht; zudem wollte ich die Erinnerung des huldvollen Meisters bezüglich eines kleinen (silbernen!) Vogels auffrischen, der in das Knopfloch eines sehr kultivierten Harfenisten fliegen sollte, der früher in Petersburg beklatscht wurde und der nun hier ist und vor langer Zeit die Medaille am Band von Weimar erhalten hat. ‚So viele Dinge in einem einzigen (brieflichen) Menuett! ‘ – Außerdem rechnet M. Sasch in seiner ganz und gar herrschaftlichen Art ab. Wenn er gut rechnet , muß er sich nicht darüber wundern und noch weniger beschweren, keinen Brief von mir erhalten zu haben.“ Dann antwortet er wahrscheinlich auf eine entsprechende Frage der Adressatin, der gegenüber der Großherzog sich wohl erstaunt darüber geäußert hatte, keinen Brief mehr von Liszt bekommen zu haben, daß der letzte Brief, den er erhalten hatte, eine Antwort auf einen Brief von Liszt aus Rom vom Oktober [Brief 305 vom 15. Oktober 1873] war, der „nichts enthielt, was eine eilige Rückmeldung verlangt hätte“ [Brief 306] (US-CAh AM16; The Letters of Franz Liszt to Olga von Meyendorff, 1871–1886, in the Mildred Bliss Collection at Dumbarton Oaks , hrsg. von William Tyler und Edward N. Waters, Washington (DC): Dumbarton Oaks 1979 (Auflage in englischer Sprache), S. 112)

Ich habe gerade an die Großherzogin geschrieben und sie gebeten, meinen verspäteten Dank für das gütige Telegramm Eurer Königlichen Hoheiten anläßlich meines festlichen Jubiläums Am 3. Dezember 1873 hatte Liszt Baronin von Meyendorff gebeten, dem Großherzog zu sagen, daß er auf die Telegramme, die er zu seinem Jubiläum erhalten hatte, nicht mit einem Telegramm antworten wollte und in Kürze per Brief antworten würde ( The Letters of Franz Liszt to Olga von Meyendorff, 1871–1886, in the Mildred Bliss Collection at Dumbarton Oaks , S. 108). Liszt hat der Großherzogin mit einem Brief vom 17. Dezember 1873 aus Pest gedankt und sich für die Verspätung entschuldigt ([D WRgs] GSA 59/73, 1 Nr. 4). in Pest zu entschuldigen. Weimar war dort durch den Intendanten Ihres Theaters und seinen Kapellmeister – Baron Loën und Herrn Lassen – würdig vertreten. Auf dem Festakt zur Präsentation des Dokuments von Pest, der durch Grußbotschaften und gekrönte Häupter sehr aufgewertet wurde, stieß die Rede von Baron Loën auf eine sehr freundliche Aufnahme; ebenso wie sein Toast während des Banketts am nächsten Tag. Am 13. Dezember 1873 schreibt Liszt der Baronin von Meyendorff, wie viel Gutes er von Loën denkt und was für eine schöne Wirkung dieser mit seinen Vorträgen in Budapest erzielt hat, die er bei der Matinee mit der Liszt-Kantate von Gobbi-Ruggieri und am folgenden Tag beim Festessen zu seinen Ehren gehalten hat. Er ist ihm ganz besonders dankbar, daß er drei Namen erwähnt hat, die in Zusammenhang mit seiner Arbeit als Dirigent stehen: Schumann, Berlioz, Wagner und drei weitere, die in Verbindung mit seinem Klavierunterricht zu nennen sind: Bülow, Tausig, [Street-]Klindworth. Er schreibt auch, daß er ein Album mit über 100 Eintragungen von Persönlichkeiten aus Weimar erhalten hat, was ihn besonders berührt hat ( The Letters of Franz Liszt to Olga von Meyendorff, 1871–1886, in the Mildred Bliss Collection at Dumbarton Oaks , S. 111).

Jena war ebenfalls sehr vornehm mit einem Gedicht in ausgezeichnetem Latein vertreten (das die Kenner hier gelobt haben) und ich bedaure nur, daß mein beharrlicher Freund Gille an diesem so außerordentlichen und stilvollen Fest nicht teilnehmen konnte.

In seinem Brief von gestern berichtet Gille mir, daß Eure Königliche Hoheit Ihr wirksames Wohlwollen weiterhin dem <„deutschen allgemeinen Musik Verein“> schenkt. Sie sind seit über 10 Jahren dessen Schirmherr, Monseigneur. Und sein ehrenwertes, nützliches und fortschrittliches Werk kommt nur dank Ihres Schutzes voran. Er ist Ihnen zu sehr zu Dank verpflichtet, als daß er eine Indiskretion begehen würde. Ich bürge für seine bescheidene Lebensart und erlaube mir, ihn Ihnen noch einmal zu empfehlen – obwohl mir Empfehlungen zuwider sind.

Sie werden in Kürze die beiden „Ave Maria“ (für Harfe [sic]) erhalten, deren Widmung Sie gnädig angenommen haben: das erste in der Komposition von Arcadelt aus dem 16. Jhdt., das zweite von Ihrem geringsten Diener; alle beide in einer exzellent von Herrn Dubez , dem <„Kaiserlich Königlichen Hofharfenspieler“>, transkribierten Version. Herr Dubez war früher in Sankt Petersburg und lebt seit vielen Jahren in Pest, wo er zu den fünf oder sechs Virtuosen gehört, die im Theater oder bei Konzerten besonders viel Applaus erhalten. Peter Dubez († 1890), Zwei Ave Maria. Giov. Arcadelt und Franz Liszt. Ave Maria (Transkriptionen für Harfe), Leipzig: C.F. Kahnt 1874. Das Ave Maria von Jacob Arcadelt (1504–1568) ist in Wirklichkeit aber eine geistliche Kontrafaktur, die 1842 Pierre Louis Dietsch (1808–1865) zur Melodie einer Chanson von Arcadelt gesetzt hat. Wie in der Partitur vermerkt wurde, hat Dubez es aber nach der Transkiption von Liszt (LW A216, erschienen in Leipzig: Peters 1865) seinerseits transkribiert. Das transkribierte Ave Maria von Liszt ist sicher das Ave Maria II (LW J24).

Eure Königliche Hoheit hat ihn vor langer Zeit mit dem Weimarer Orden am Band ausgezeichnet, den er an der Knopfleiste trägt – voller Hoffnung. Wird der (silberne) Vogel folgen? Verfügen Sie darüber, wie es Ihnen beliebt, Monseigneur – und dulden Sie, daß ich unabänderlich,

Ihr treuer Diener bleibe.

F. Liszt

den 21. Dezember 73,

Budapest Budapest entstand erst 1873 durch die Zusammenlegung der zuvor selbstständigen Städte Buda (dt. Ofen ) und Óbuda ( Alt-Ofen ), beide westlich der Donau, sowie Pest östlich der Donau. Der Name Budapest selbst tauchte zuvor nicht auf, im Sprachgebrauch war Pest-Buda üblich.