Objekt des Monats

Eine „Baalberger“ Kanne aus Merseburg

Die „Baalberger“ Kanne aus Merseburg. Lehrstuhl für Ur- und Frühgeschichte mit Sammlung UFG der Friedrich-Schiller-Universität Jena (Foto: Ivonne Przemuß)

Die Kanne aus Merseburg (Ldkr. Saalekreis, Bundesland Sachsen-Anhalt) stellt ein charakteristisches Keramikgefäß aus dem Mittelelbe-Saale-Gebiet des 4. Jt.s v. Chr. dar. In dieser Zeit lebten die Menschen dieser Region von Ackerbau, Viehzucht und Jagd, möglicherweise waren sie auch zu größeren Teilen ausgesprochen mobil und können sie dann als Halbnomad:innen bezeichnet werden. Da die Schrift zu dieser Zeit noch nicht erfunden war, liegen uns jedoch keine Texte vor, die uns dazu nähere Informationen geben, und auch zur Frage, welche Funktionen bestimmte Gefäße damals besaßen und wofür auch ganz konkret diese Kanne verwendet wurde, können wir letzten Endes nur relativ allgemeine Interpretationen äußern („Trinkgefäß“, „Ausgussgefäß“, „Vorratsgefäß“ usw.). Allerdings helfen naturwissenschaftliche Analyseverfahren dabei zu klären, welche Substanzen die Gefäße einst enthielten.

Kannen dieser Form, die in aller Regel unverziert waren, werden in der Forschung dem „Baalberger“ Keramikstil zugerechnet. Dazu gehören ebenfalls spezifische Ausführungen von „Amphoren“, „Tassen“, „Trichterbechern“ sowie weiteren Gefäßen. Solche Gefäße wurden und werden bei Ausgrabungen öfter zusammen niedergelegt gefunden und sie gehören daher derselben Zeit an. Namensgebend für die „Baalberger“ Keramik ist Baalberge, ein Ortsteil von Bernburg (Saale) in Sachsen-Anhalt. Dort stieß man 1901 bei der Ausgrabung eines Grabhügels, des „Schneiderbergs“, auf eine von Steinplatten eingefasste Bestattung eines Menschen mit zwei Gefäßen – einer Kanne und einer Tasse –, und auf dieses Ensemble bezog man sich später bei der Benennung des „Baalberger“ Keramikstils. Mithilfe der Radiokarbonmethode konnte ab den 1990er Jahren geklärt werden, in welche Zeit die „Baalberger“ Gefäße und dementsprechend auch die Kanne aus Merseburg gehören: Sie wurden zwischen ca. 3975 und ca. 3350 v. Chr. getöpfert. 

Erscheinen uns die Keramikgefäße dieser Jahrhunderte aus dem Mittelelbe-Saale-Gebiet als eher schlicht, so besitzt diese Zeit in anderer Hinsicht eine große Bedeutung. Zum einen kennen wir aus diesem Zeitabschnitt Kupferobjekte, beispielsweise kleine spiralförmige Röllchen. Sie gehören zu zumindest frühen, möglicherweise den frühsten, Kupfergegenständen in unserer Region und stehen damit am Anfang der Metallurgie in Mitteleuropa. Zum anderen sind aus dieser Zeit Grabhügel erhalten, wie zum Beispiel eben der „Schneiderberg“ von Baalberge. Diese Hügel können als „Monumente“, als „Denkmale“, interpretiert werden, mit denen an sicherlich ausgewählte Personen, an deren Leben, Taten und/oder Schicksale erinnert werden sollte. Ist diese Deutung korrekt, dann ist die Absicht, sich bewusst und „dauerhaft“ an kommende Generationen zu wenden, für das Mittelelbe-Saale-Gebiet erstmals mit diesen Grabhügeln und mit den Jahrhunderten der „Baalberger“ Keramik nachzuweisen.  

 

Tobias Mühlenbruch

 

Sammlung Ur- und Frühgeschichte

Inv.-Nr.: 595

Material: Keramik

Maße: Höhe ca. 10 cm, Randdurchmesser ca. 6 cm, Bodendurchmesser ca. 4,5 cm

 

 

Für die Erlaubnis, das Gefäß hier vorstellen zu dürfen, danke ich P. Ettel und E. Paust sehr, für das Foto I. Przemuß.

 

Literatur:

 

H. Meller (Hrsg.), Früh- und Mittelneolithikum. Kataloge zur Dauerausstellung im Landesmuseum für Vorgeschichte Halle 2 (Halle [Saale] 2021).

 

J. Müller, Soziochronologische Studien zum Jung- und Spätneolithikum im Mittelelbe-Saale-Gebiet (4100  2700 vChr.). Eine sozialhistorische Interpretation prähistorischer QuellenVorgeschichtliche Forschungen 21 (Rahden 2001).

 

J. Müller, Neolithische Monumente und neolithische Gesellschaften. In: H.-J. Beier/ E. Classen/Th. Doppler/B. Ramminger (Hrsg.), Neolithische Monumente und neolithische Gesellschaften. Beiträge der Sitzung der Arbeitsgemeinschaft Neolithikum während der Jahrestagung des Nordwestdeutschen Verbandes für Altertumsforschung e.V. in Schleswig, 9.–10. Oktober 2007. Beiträge zur Ur- und Frühgeschichte Mitteleuropas 56, Varia neolithica VI (Langenweissbach 2009) 7–16.

 

J. Preuß, Die Baalberger Gruppe in Mitteldeutschland. Veröffentlichungen des Landesmuseums für Vorgeschichte in Halle 21 (Berlin 1966).

 

O. Rück, Kult und Wettkampf – Überlegungen zur Funktion einer baalbergezeitlichen Kreisgrabenanlage im Licht der nomadisch geprägten Lebens- und Wirtschaftsform der Baalberger Gruppe. In: F. Bertemes/O. Rück (Hrsg.), Neue Forschungen und Aspekte zur Baalberger Kultur. Beiträge des Arbeitstreffens „Aktuelle Forschungen zur Baalberger Kultur“ am 04.11.2014. Alteuropäische Forschungen N.F. 9 (Langenweissbach 2016) 169–190.